Gemeinsamer Brief von Trans-Kinder-Netz e.V. und dgti zum Interview des Bundesministers der Justiz Marco Buschmann mit der “ZEIT” vom 6.1.2023.
Sehr geehrter Herr Minister Buschmann,
wir bitten um Kenntnisnahme unserer Ausführungen, eine Stellungnahme vorab, und ein Gespräch zum Themenkreis Selbstbestimmungsgesetz mit Ihrem Haus gerne im digitalen Format, vorzugsweise mit weiteren Verbänden und Vereinen wie dem Transkindernetz e.V. und dem BV-Trans* e.V.
In einem Interview mit der „ZEIT“, erschienen am 6.1.2023 antworteten Sie auf Fragen zum kommenden Selbstbestimmungsgesetz wie folgt:
„Da wurden teils Zerrbilder über geschlechtsangleichende Operationen für Minderjährige gezeichnet. Die Wahrheit ist: Medizinische Fragen regelt unser Entwurf überhaupt nicht. Hier haben alle medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland den gleichen Standpunkt, den auch die Bundesregierung teilt: Solche Behandlungen sollen in Deutschland nicht an Minderjährigen vorgenommen werden. Daran wollen wir auch nichts ändern“
Diese Aussage, dass alle oder eine Mehrheit der med. Fachgesellschaften geschlechtsangleichende Operationen bei trans* Jugendlichen ablehnen, ist nach unserem Kenntnisstand unzutreffend und stellt die tatsächliche Lage auf den Kopf. Dass die Bundesregierung diesen Standpunkt teilen soll, ist mit dem Gedanken der Selbstbestimmung in Gesundheitsfragen unvereinbar.
Standards of Care
Wie die Standards of Care Version 8 der WPATH (Kapitel 6.12) und auch der Deutsche Ethikrat in seiner Ad hoc Empfehlung zu diesem Thema darstellen, bedarf es generell bei allen geschlechtsangleichenden Maßnahmen einer gründlichen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit trans* Jugendlicher. Nach Ausschöpfung psychotherapeutischer Mittel und weiter bestehendem Leidensdruck dürfen auch Operationen grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Diese sind nach Auskunft des MD Bund vom Februar 2020 grundsätzlich genehmigungsfähig. In der Praxis werden sie in der Alterspanne zwischen 16 – 18 Jahren von den medizinischen Diensten (MD) jedoch häufig abgelehnt, obwohl regelmäßig Zweit- oder gar Drittindikationen vorliegen, die die medizinische Notwendigkeit bescheinigen.
In den Ablehnungen der MD wird häufig auf eine veraltete und einseitig begründete Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestag verwiesen. Selbst medizinischen Laien sollte auffallen, dass darin Quellenangaben zu Ausarbeitungen wesentlicher universitärer Anlaufstellen wie Hamburg, Münster, Jena und Leipzig fehlen, jedoch „christliche“ Werte angeführt werden und stattdessen vor allem Dr. Alexander Korte, Vertreter der Fachgesellschaft DGSMTW, als ausgewiesener Gegner solcher Maßnahmen zitiert wird. Wir bitten zu beachten, dass es hierbei nicht nur um Operationen am Genital geht, sondern auch um Brustentfernungen/Mastektomien.
Leiden der trans* Kinder und Jugendlichen
Wir ersparen uns an dieser Stelle, das Leiden der trans* Kinder und Jugendlichen und die Belastungen ihrer Eltern, die Diskriminierungen im Gesundheitssystem, Nicht-Akzeptanz und Mobbing bis hin zu offenem Hass in Teilen der Gesellschaft erdulden müssen, weiter auszuführen. Was diese Jugendlichen und ihre Eltern garantiert nicht brauchen, sind Äußerungen, die zu einer Unterstützung der Blockadehaltung bei einigen medizinischen Diensten und vor allem der Fachgesellschaft DGSMTW führen. Diese Haltung wird zusätzlich durch die schleppende Umsetzung der ICD-11 der WHO durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestützt.
Weiterhin werden Sie zitiert:
„Aber die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an. Die Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein. Das müssen wir sauber regeln. Das ist technisch anspruchsvoll und muss gründlich erarbeitet sein.“
Das von einigen engagierten Frauen behauptete Eindringen von trans* Frauen in „Schutzräume“ existiert faktisch nicht. Bereits seit 1981 haben trans* Frauen die legale Berechtigung zum Zutritt zu Frauenräumen, und seit 2011 gibt es in Deutschland zahlreiche trans* Frauen mit dem Personenstand weiblich, die aus unterschiedlichen Gründen keine Genitaloperation durchgeführt haben, so wie es auch trans* Männer, inter * und nicht binäre Personen gibt, auf die das Gleiche zutrifft. Weiterhin gibt es trans* und cis Frauen, deren Frau Sein einfach durch ihr Erscheinungsbild gelegentlich angezweifelt wird.
Die grundsätzliche Situation ist also nicht neu – und bisher bestand offensichtlich kein Regelungsbedarf. Hier hilft ein Blick in andere europäische Staaten, die schon seit Langem einen einfachen Zugang zur Personenstandsänderung haben, wie z.B. Irland, Malta, Luxemburg und seit einem Jahr die Schweiz. Wir finden es angemessen, bei den Regierungen dort nachzufragen, bevor man offensichtlichen Ressentiments einen Platz in Gesetzestexten gibt und damit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aushebelt.
Eine gesetzliche Ausnahmeregelung, um trans* Frauen auf Grund des ersten Anscheins aus einer Frauensauna, oder trans* Mädchen z.B. aus der Frauenabteilung einer therapeutischen Einrichtung aussperren zu können, öffnet der Diskriminierung Tür und Tor und führt im Zweifelsfall dazu, dass alle Frauen Opfer von stereotypen Bildern „geschlechtskonformer“ Äußerlichkeiten werden können.
Mit dem Argument sich bedroht zu fühlen lässt sich alles begründen, das erleben wir in ganz anderen Zusammenhängen.
Die Vorstände von
dgti e.V., Petra Weitzel, 1. Vorsitzende und Trans-Kinder-Netz e.V.
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